KOPFARBEIT
Paul Schwer Auszüge aus: Katalog UNaRT, Erstveröffentlichung, Ausstellung Kunsthaus Essen, 1987
Projektgruppe UNAaRT
In der geschichtlichen Entwicklung von Kunst und Wissenschaft hat eine Polarisierung stattgefunden, die jede vorschnelle Verbindung, z.B. in der Form von Kunsttherapie, suspekt erscheinen lässt. Insbesondere die in dem Begriff vorhandene Instrumentalisierung, der Gedanke an die direkte „Nutzbarmachung“ von künstlerischer Arbeit scheint in krassem Gegensatz zu dem Freiheitsanspruch von Kunst zu stehen. Die Gefahr einer Verharmlosung und Verniedlichung eines möglichen Wirkungspotentials von Kunst und künstlerischer Auseinandersetzung liegt nahe. Aus medizinisch-therapeutischer Sicht stellt sich die Frage nach einer weiteren Form von Therapie, die sich eines eigentlich unteilbaren Vorganges, nämlich den einer „Heilung“ im Sinne eines Gleichgewichts oder Gleichklangs in der körperlichen, seelischen, geistigen und sozialen menschlichen Entwicklung, zu bemächtigen vorgibt. Sowohl eine Trübung naturwissenschaftlich geklärter Logik als auch ein erneuter eindimensionaler psychologischer Zugriff auf die Kunst ist zu erwarten. Peter RECH (1984) versucht dem vorzubeugen, indem er postuliert, dass Kunst Therapie ist und diese gleichzeitig übersteigt. Mittels wissenschaftlicher Theorien wird es dadurch möglich zu beschreiben, was in der Therapie passiert und damit gleichzeitig etwas über mögliche Ursachen und Wirkweisen von Kunst auszusagen.
Mit Joseph BEUYS (1986) eröffnet sich über eine jeweilige „Erweiterung des Kunst- und des Wissenschaftsbegriffs“ die Perspektive eines notwendigen, komplementären Verhältnisses. Es geht ihm dabei um einen Versuch eine „sinnerfüllte Totalität“ anzustreben und damit die „Ausdifferenzierung der Wertsphären“ (Max Weber) rückgängig zu machen.
Einen anderen Ausweg formuliert der Kunsthistoriker Peter GORSEN (1984), indem er auf eine Art kleinsten gemeinsamen Nenner von Kunst und Therapie hinweist und dafür die ähnlich strapazierten Begriffe „Kreativität und Prozess“ findet.
Im folgenden sollen nun eine aus der Kunst (RUNGE – BEUYS) hergeleitete Theorie zum Prozess-Gedanken und eine psychoanalytische Theorie (WINNICOTT) zur Kreativität skizziert werden. Daran schließt sich eine Darstellung der grundsätzlichen Positionen unserer Arbeit in der Kunstgruppe UNaRT an. Die therapeutisch-orientierte gemeinsame künstlerische Praxis besteht nun seit drei Jahren. Sie siedelt sich bewusst im Grenzbereich zwischen Kunst und Psychiatrie und deren jeweiliger Institutionalisierung an.
Zwischen den einzelnen theoretischen und programmatischen Überlegungen werden Schilderungen aus unserer Praxis und deren mögliche Interpretation eingeschoben. Abschließend sollen wesentliche Aspekte aus den beiden Bereichen in Bezug auf eine kunsttherapeutische Praxis zusammengefasst und miteinander verknüpft werden.
Ein 17-jähriger Jugendlicher wurde wegen einer Nierenerkrankung seit dem 7. Lebensjahr dialysiert. Eine Transplantation mit 14 Jahren brachte nur vorübergehende Befreiung von dem Anschluss an eine künstliche Niere. Hinzu kamen eine ausgeprägte Wachstumsstörung und körperliche Veränderungen durch die notwendige Dauermedikation. In dieser Situation wurde er sehr depressiv und lebensmüde. In unserer Kunstgruppe malte der Jugendliche bald von sich aus auf einem großen, auf dem Boden liegenden Stück Papier (ca. 2×2m) zwei runde Seen, welche durch einen Bach miteinander verbunden waren. In dem bildlich geschlossenen System floss ständig Schmutzwasser von dem einen in den anderen See. Das Bild wurde danach an der Wand des Ateliers aufgehängt. Der Jugendliche hatte seine Situation sofort in einem großen Bild dargestellt und diese war nun für alle im Raum präsent.