Gedanken über den Raum

Eva Cukoic, August 2010

Raum – Space – Zwischenraum – Übergangsraum – Freiraum – Gesprächsraum – Äußerer Raum – Innerer Raum – Raum für das Selbst – Selbstverwirklichung – Selbst wirklich werden

Meiner Beobachtung nach kommt dem Raum an sich bereits eine große Bedeutung zu. Ist er groß oder klein, leer oder voller Dinge, geordnet oder herrscht buntes Chaos, kann der Blick schweifen, strahlt der Raum Ruhe und Wärme aus, animiert er dazu, etwas zu tun.

So kommt jedem Raum eine spezielle Bedeutung zu, die zum Teil klar definiert ist und bei vielen Menschen ähnliche Empfindungen auslöst. So wie eine Kathedrale Stille, Ruhe und Ehrfurcht vermittelt, zur inneren Einkehr einlädt löst das Foyer einer Klinik eher Befangenheit, Unwohlsein und Unruhe aus.

Die Atmosphäre eines Raumes überträgt sich auf den, der ihn betritt, beeinflusst ihn in seiner Befindlichkeit, seine Gefühle, sein Denken.

Das UNART-Atelier ist mit seiner speziellen Atmosphäre, mit seinen Gerüchen nach Farbe, dem bunten Durcheinander der Dinge und Kunstwerke ein Raum außerhalb der Klinik, absichtlich exterritorital angelegt. Der bewusste Wechsel von einem Ort, der Klinik mit seinen festen Strukturen und Rhythmen zum anderen Ort, dem Atelier erscheint wie ein Übergang zu einer anderen Welt. Eine Welt mit neuen Menschen, neuen Rollen, neuen Blickrichtungen, neuen Möglichkeiten.

Dabei gewinnt der Raum, zwischen Klinik und Atelier schon an Bedeutung. Das verlassen der Station, der Klinik und eine zwanzig Minuten dauernde Fahrt im Auto mit den Künstlern markiert einen Wechsel, das körperliche Überwinden einer Distanz, schlägt eine Brücke vom Hier zum Dort, lässt Raum gerade noch Erlebtes mitzunehmen, zu verarbeiten, zu verwandeln oder gar zu vergessen, macht Platz für neue Eindrücke.

Der Raum zwischen der Institution und des Ateliers ist daher an sich schon eine Art Übergangsraum. Innerhalb der Atelierräume schaffen sich die Kinder weitere individuelle Übergangsräume, die dann im Sinne des Kinderarztes und Psychotherapeuten Winnicotts als Übergangsobjekt auch mitgenommen werden können.

Kartons werden zu Bühnen, auf denen das „wahre“ Leben spielt oder Einraumeigenheime mit goldenen Fassaden und spezieller Zutrittserlaubnis. Flugobjekte sind möglich oder Raumschiffe, ausgestattet mit Sauerstoffversorgung und anderen wichtigen Überlebenstechniken, die es ermöglichen, sich auf angenehmere Planeten als den hiesigen fortzubewegen. Kleine seifenkistenähnliche Räume mit Rädern, die mehr oder weniger realistische Funktionen haben mal mit, mal ohne funktionierende Steuerung, ermöglichen einen Neustart in die Rennbahn des Lebens. Diese Räume bieten Freiraum für Illusion und Imagination, sie erlauben Unmögliches, beflügeln die Fantasie und lösen Verstrickungen, bringen wieder Bewegung in Erstarrtes, eröffnen neue innere Räume.

Die Atelierräume selbst ermöglichen eine Bewegung im Spannungsfeld von Nähe und Distanz, Kontrolle und Loslassen, ähnlich zu den Bewegungen des Kleinkindes zur Mutter während der Phase der Individuation. Manche Kinder verweilen wochenlang im Malatelier in Geselligkeit und Begleitung, andere bleiben von vorneherein im hinteren Werkraum, weniger unter den neugierigen Augen der Anderen, sich an die unvertraute Situation und fremde Tätigkeit gewöhnend, andere wechseln innerhalb der Gruppe zwischen den Räumen, ein Gleichgewicht zwischen den Möglichkeiten austarierend. Die scheinbar unstrukturierte Situation unterstützt hierbei die Selbstregulationsfähigkeit des einzelnen und der Gruppe.

Die verschiedenen Orte innerhalb des Ateliers ermöglichen dem einzelnen den Raum zu finden, der gerade gebraucht wird.

Es ist nicht ungewöhnlich das von den Kindern und Jugendlichen zunächst eine Aneignung des Raumes und die Inbesitznahme von Objekten stattfindet. Dazu gehört auch das bemalen von Möbelstücken, Inventar, liegen gebliebene Arbeiten. Der Anstrich mit einer neuen Farbe signalisiert den Wechsel der Besitzer. Nicht selten bekommt eine Atelierwand eine neue Gestaltung, die als Inbesitznahme eines unpersönlichen Raumes verstanden werden könnte. Die Veränderung des Raumes wird sofort zur Kommunikationsfläche innerhalb der Gruppe und häufig gruppenübergreifend als Austausch für Texte und Botschaften genutzt.

Manchmal entsteht der Eindruck, dass für die Kinder im Raum fast zu viel vorhanden ist, manche lassen sich rasch ablenken, wir laufen Gefahr die Rolle der Ordnungshüter zu übernehmen. Die Integration eigener Arbeiten der Künstler im Raum schafft in solchen Momenten neue Impulse, macht neugierig und öffnet den Raum zum gemeinsamen Gestalten, wirkt strukturierend. Zuvor störendes Verhalten kann eine Umdeutung im Raum erfahren, z,B, durch eine Videoaufnahme eines Rollenspiels, das diese Elemente als Teil der Szene beinhaltet, aber jetzt als Rolle gespielt wird und somit neuen Regel unterliegt. Das Pendeln zwischen chaotischem Agieren und ängstlich zwanghaftem Festhalten an Bekanntem erfährt innerhalb der Atelierräume häufig einen Wandel zu konstruktivem, stabilisierendem Verhalten.

Es gilt also einen Raum zwischen den Extremen von Chaos und Starre zu öffnen, in dem scheinbar unvorstellbares Platz findet.

UNART, das sich als chaotisch inszeniertes Projekt im Zwischenraum von Kunst und Psychiatrie versteht, sucht einen Ausweg aus geordneten und starren Strukturen, indem es sich bemüht seine Ateliervorstellungen umzusetzen. Die an dem Projekt aktiv teilnehmenden UNART-Künstler suchen nach Entwicklungsmöglichkeiten des Selbst über Veräußerung von Innerem und Verinnerlichung von Äußerem. Der Raum spielt hierbei eine wesentliche Rolle.