Der von GORSEN für therapeutische Aspekte vorgezogene „Prozess“ anstelle von „Kunst“ taucht nach Theodora VISCHER /1983, 1986) in der Kunsttheorie erstmals in der Frühromantik mit Phillip Otto RUNGE und seiner Vorstellung eines prozessualen Geschehens auf.
RUNGE fordert eine Übereinstimmung zwischen „innerster Empfindung“ und „äußerer Gestalt“. Er setzt damit die schöpferische Kraft des künstlerischen Subjektes an die Stelle eines von außen vorgegebenen Inhaltes und des damit verbundenen Gegenstands und Themenbereichs der Kunst. Seine Forderung bedeutet eine radikale Relativierung der Bedeutung des Gegenstandes. Der Produktion eines abgeschlossenen Kunstwerkes wird eine dynamische, prozessuale Vorstellungswelt gegenübergestellt. Damit verliert der Betrachter seine passiv-rezeptive Rolle und gerät in eine über das Kunstwerk aktivierte Beziehung. Für den Künstler stellt sich die Frage nach der „Wirkungsabsicht“ auf den Betrachter mittels Kunst. Diese erfordert nach RUNGE eine Studium und eine Theorie der Naturkräfte, die in den mitteln der Malerei wirksam sind. RUNGE zitiert nach VISCHER „ Es ist indessen. . . nicht genug, dass wir in die Erscheinung eindringen und uns solche in der Natur erklären können, sondern es ist ebenso notwendig, dass wir in die Natur unseres Material. . . eindringen, und dass wir wissen, welche Ähnlichkeit unsere Mittel mit denen haben, durch welche die Natur Würkung hervorgebracht werden.“
Also nicht nur die Themen (abgebildeter Gegenstand, etc.) sondern auch die Mittel sollen die „Kräfte des Universums“ mitteilen. Das heißt, die Mittel der Kunst, beispielsweise die Substanz Farbe mit ihren unendlichen materiellen Eigenschaften und spirituellen Verweismöglichkeiten, identifizieren sich mit ihrem anschaulichen Inhalt.
Josef BEUYS hat die „frühromantischen Tastversuche“ eines Zusammenspiels von materiellen, geistigen, wissenschaftlichen und metaphysischen Überlegungen fortgesetzt und bildnerisch souverän gelöst, indem er beispielsweise „kunstfremde“ Materialien (Fett, Filz, etc.) und deren Wirkung als Bildmittel angewandt hat. Der Aufforderungscharakter seiner Arbeiten, die Art des Einsatzes von Form und Material, die zentrale Bedeutung des kreativen Menschen in seiner plastischen Theorie weisen bei BEUYS auf die seinem Schaffen zugrunde liegende Absicht, unter Anrufung der Eigenverantwortung jedes Menschen zum Denken und Handeln zu provozieren.
Ein Junge im Vorpubertätsalter baut über mehrere Nachmittage leidenschaftlich an einem Floß. Er befestigt Reifen an einer Holzpalette, installiert 2 Sitze und ein blaues Segel. Er stellt sich vor, dass er gemeinsam mit seinem Freund auf einem Tümpel vor der Klinik oder dem Baldeneysee das Floß schwimmen lässt. Sein Freund soll angeln, er wird rudern. Über seine Vorgeschichte wissen wir von Komplikationen in der Schwangerschaft und der folgenden Frühgeburt. Den anschließenden mehrmonatigen Krankenhausaufenthalt empfindet die Mutter als erschwerend in der Beziehung zu dem Säugling. Es entwickelt sich eine vom Kleinkindesalter bis heute anhaltende Enuresis. Mit dem Floßbau erfolgt nun eine Art Außendarstellung seiner Symptomatik. Diese kann in ihrem tieferen Sinn als Möglichkeit zu überleben (z.B. ich bin befähigt, mir eine Mutterleibssituation wiederherzustellen“) verstanden werden. Das Schicksal der sehr frühen Mangelerfahrung lässt sich nicht ändern, aber durch die spontan eingetretene symbolische Veräußerung und Transformation wird eine Entmachtung des Symptoms denkbar. Seine ursprünglich notwendige Funktion entfällt.
Im Bereich von Medizin und Psychotherapie finden wir eine Reihe von Theorien zur Entwicklung von Kreativität in einem umfassenden und elementaren Sinn. Besonders WINNICOTT (1973) bietet uns mit seinem aus der psychotherapeutischen Arbeit mit Kindern entwickelten Konzept des „Übergangsobjektes“ bzw. des „Übergangsphänomen“ einen hypothetischen Einblick in einen Akt frühester Kreativität. Nach WINNICOTT wird das anfängliche Omnipotenzgefühl des Säuglings durch die Erfahrung mütterlicher Abwesenheit gestört. Mit dem „Übergangsobjekt“ (beispielsweise einem Teddybär) schafft sich der Säugling einen Tröster. Dieser gehört zwar zur Außenwelt, bedeutet für den Säugling jedoch die in der Symbiose von ihm illusionär erschaffene Mutter. EGGERS (1984) betont die Wichtigkeit einer Kontinuität dieser emotionalen und kognitiven Erfahrung für den Säugling und verweist damit auf das „Zuhandensein“ (HEIDEGGER 1927) dieses Übergangsobjektes. Für HEIDEGGER ist das „Zuhandensein“ eines Konstituens der Realitätsbeziehung des Menschen schlechthin. Das ‚Zuhandene’ des Umgangs mit dem Übergangsobjekt hat immer auch den Charakter der Nähe. Es vermittelt die Näher der abwesenden Mutter und damit Sicherheit und Geborgenheit.“ (EGGERS, 1984)
Nach Erlangen der Befähigung zur illusionär-kreativen Imagination des „guten Objektes“ kann und muss für das Kleinkind der Prozess der Desillusionierung erfolgen. Zwischen subjektiv Vorgestelltem und objektiv Wahrnehmbarem bildet sich nun der „intermediäre Bereich“ als eine Art „Übergangsphänomen“.
Damit wird der Grundstock gelegt zu Imagination und Spiel, zur Selbstwahrnehmung und Bildung von Symbol und Sprache, zur Entwicklung einer stabilen inneren Realität und, „eines wahren und stabilen Selbst“. (WINNICOTT 1973)